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Fundraising-Kampagne auf Betterplace
Arbeit im Flüchtlingscamp Mavrovrouni (Moria) auf Lesbos
Schutzlos
Immer wieder stelle ich fest, dass ich Klient*innen begegne, bei denen ich spüre, dass ich ihretwegen hier bin. Weil die Behandlung besonders dringlich ist. Weil sie wirkt. Weil ich dadurch
wirksam sein kann und es möglich ist, einen Unterschied zu machen. Weil der Mensch eine unmittelbare Verbesserung erfährt. Und: weil mich die Geschichte zutiefst berührt und betroffen macht.
Eine junge Frau Mitte 20 aus Afghanistan, freundlich, zugewandt, stolz, sehr gepflegt und zurechtgemacht, bildschön. Zwei kleine Kinder sind mit ihr über die Türkei geflohen, wie alle hier auf
Lesbos, mit dem Gummiboot bei Nacht und Nebel. Sie ist allein mit den Kindern auf der Flucht, ihr Mann von den Taliban umgebracht. So ungeschützt wurde sie mehrfach Opfer sexueller Gewalt – in
Afghanistan, auf der Flucht, zuletzt im Camp selbst. Die Resilienz ist erstaunlich, die äußere Maske perfekt. Die tiefe innere Erschütterung ist erst bei der Behandlung spürbar. Die vernarbten
Schnitte auf ihren Oberarmen bezeugen eine lange zerstörerische Geschichte der Emotionsregulation. Die Behandlungen sind zurzeit das Einzige, was ihr hilft, die rasenden Kopfschmerzen,
Angstzustände und inneren Bilder zu vertreiben, sagt sie.
Das Schlimme ist: sie ist absolut kein Einzelfall. Heute die nächste junge Frau – mit ähnlicher Biographie. Verwitwet, mit Kindern allein auf der Flucht, ebenfalls Opfer wiederholter sexueller
Gewalt, leichte Beute für Täter, die die vulnerable Lage der geflüchteten Frauen ausnutzen. Und: die die bestehenden Machtstrukturen ausnutzen, denn die Täter sind häufig Polizisten, Soldaten,
Security. Menschen, deren Aufgabe es ist, den Schutz von Menschen zu garantieren.
(22. März 2023)
Das Unsagbare
Der Mann ist ein Hüne, eine eindrucksvolle, aufrechte Erscheinung. Der Körper ist durch jahrelanges Training geformt. Aber auch verhärtet, wie verpanzert, ein Schmerz, der nie aufhört.
Bei einem Attentat auf eine Moschee in Afghanistan sind viele Menschen getötet worden. Er hat geholfen, das Chaos aufzuräumen, menschliche Überreste eingesammelt. Seitdem lassen ihn die Bilder
nicht mehr los. Nicht am Tag, nicht in der Nacht. Etwas sei mit seinem Kopf nicht richtig, sagt er. Ein aufbrausendes Temperament, habe er vorher schon gehabt. Er sucht Hilfe mit spürbarer
Dringlichkeit. Er sorgt sich um Kontrollverlust, wenn er wütend wird, verlässt er den Container mit Frau und Kindern, um sich zu regulieren, es ist nie etwas geschehen, er kennt sich gut. Nach
einer Woche energetischer Behandlungen in Kombination mit Homöopathie geht es dem Mann deutlich besser. Nach der ersten Behandlung schon hatten die Schmerzen erstmals für ein paar Stunden
aufgehört. Jetzt, die Schmerzen reduziert, die Albträume haben aufgehört, dadurch ist der Schlaf erholsamer, das Nervensystem beginnt, sich zu beruhigen, der Mann ist deutlich zugewandter,
nachdenklich. Er entschuldigt sich für seinen cholerischen Ausbruch einer Kollegin gegenüber vor Beginn der Behandlung.
Die Arbeit mit dem Afghanen berührt mich und macht auch mich nachdenklich. Ich arbeite gerne mit ihm, ich sehe seine Not. Und: ich sehe, dass es für viele Menschen möglicherweise schwierig ist,
mit ihm zu arbeiten.
Es braucht ein Durchdringen auch der emotionalen Verpanzerung, ein Hindurchsehen durch die Schicht von Wut, Verteidigungsmechanismen, Cholerik. Ein Verstehen, dass sich die traumatischen
Erfahrungen bei Männern häufig anders zeigen als bei Frauen – dass die Not aber genauso groß ist – es aber für die Helfer viel schwieriger ist, diese männlichen Klienten in ihrem inneren Schmerz
zu erkennen.
Und es bringt mich zu einem weiteren Schritt. Es gibt etwas Unsagbares, ein Teil seiner Geschichte der nicht ausgesprochen werden darf. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, oder nur eine Wahrnehmung
von mir, weil es ein Tabu ist, das auf viele der Männer im Camp zutrifft. Sie leiden nicht nur unter dem, was sie als Unrecht erfahren haben, sondern auch unter dem, was sie selbst getan haben.
Wer als Mann aus einem von Bürgerkrieg, Chaos und Machtmissbrauch geprägten Land kommt, gerät früher oder später in die Situation, seine Familie, sein Dorf, seine ethnische Gruppe zu verteidigen.
Bei vielen Männern, die ich hier kennen gelernt habe, ist es bei ihrem Stolz und Mut, ihrer Aufrichtigkeit und ihrem Selbstverständnis schwer vorstellbar, dass sie in unmittelbaren
Gefahrensituationen nicht das aus ihrer Sicht Notwendige zur Verteidigung unternehmen.
Wenn sie ihre Heimat dann verlassen haben, und so lange sie dann auf der Flucht sind, erfüllen sie nach wie vor ihre Familienrolle, zu schützen, zu organisieren, zu führen. Im Camp angekommen,
entfällt all dies und ich beobachte regelmäßig, dass in dieser Situation die Männer deutlich stärker zunächst kollabieren, als die Frauen. Die Vergangenheit holt sie ein in der Untätigkeit des
Camps, dem Warten auf unbestimmte Zeit und der Ohnmacht, den undurchsichtigen Asylverfahren ausgeliefert zu sein. Was sie verfolgt, ist das Unrecht, das ihnen geschehen ist oder deren vielfache
Zeugen sie geworden sind, aber manchmal eben auch das, was sie getan haben.
Weil es unsagbar bleibt. Weil es ein Tabu ist. Weil sie vergessen wollen. Weil sie Angst haben, etwas könnte ihr Asylverfahren gefährden. Und: aus Scham. Je länger das Unsagbare unausgesprochen
bleibt, desto mehr inneren Raum nimmt ist es ein. Es frisst sich durch das Innere und macht krank an Seele und Körper. Aus meiner Sicht ist es zutiefst notwendig, diesen Männern zu helfen, ihren
inneren Raum zu leeren: für sie selbst als Individuen, für ihr persönliches Umfeld, aber auch für uns alle als Kollektiv ist Heilung an dieser Stelle unabdingbar.
März 2023
Goldene Momente
Es wird Frühling. Das Camp, dessen Geröll- und Kieslandschaft sich bei Regen innerhalb kürzester Zeit in ein Schlammloch und im Sommer in Gluthitze verwandelt, zeigt sich von seiner milden Seite.
Überall blüht es, der Hang hinter dem Container ist begrünt, es blühen Kamille, Löwenzahn und vieles andere.
Zwei Jahre alt ist die kleine Sakina aus Afghanistan und begleitet ihre Mutter, die zu mir zur Behandlung kommt. Sie ist das jüngste von vier Kindern, vier weitere Kinder hat die Mutter verloren.
Wie die meisten Kinder im Camp ist sie es gewöhnt, sich allein zu beschäftigen. Mit rührender Hingabe pflückt sie für ihre Mutter ein kleines Sträußchen. Kurz scheint alles um diesen kostbaren,
heilen Moment und diesen kleinen, fröhlichen Menschen herum unwichtig zu werden.
So Tage im Camp
Heute ist einer der Tage, an denen wir weinen. Die Afghanin ist 75 Jahre alt, sie wirkt wie mindestens 85, greisenhaft. Sie ist gebrechlich, gebrochen. Ihr Gang ist unsicher, sie hat einen
Tremor, hört schlecht, hat starke Schmerzen in Hüfte, Becken, Rippen, Handgelenk. Bei einem Sturz vor zwei Jahren hat sie sich vermutlich einige Brüche zugezogen, die mangels medizinischer
Versorgung nicht untersucht wurden. Seit wenigen Wochen erst ist sie auf der Insel, bevor sie es mit ihrer Familie geschafft hat, hat sie zehn Pushbacks erlitten. Beim elften Versuch, die Insel
zu erreichen, ist sie beim Ausstieg aus dem Gummiboot der Schmuggler und der hastigen Flucht in die Wälder der Insel erneut gestürzt. Seitdem bestehen die Schmerzen. Eine Woche lang hat die
Familie versteckt in der nächtlichen Februarkälte in den Wäldern ausgeharrt, sich mit acht Menschen eine Decke geteilt. Sie liegt vor mir auf der Behandlungsliege, reglos, erschöpft, ein kleines
Häufchen Mensch, nur Haut und Knochen. Ich kann kaum glauben, dass sie bis hierher überlebt hat. Alles an dieser Situation ist so falsch.
März 2023
Nachtrag: Die Frau ist seit einigen Wochen täglich zu uns gekommen. Neben den energetischen Behandlungen bekommt sie Massagen, Mobilisation und vor allem: menschliche
„Basisversorgung“ - kräftigendes Essen, Wärme, Ansprache, Zeit außerhalb des Camps. Langsam ist das Leben in sie zurückgekehrt. Sie ist wacher, läuft besser, hat deutlich weniger Schmerzen.
Katos Trito - Friedhof der Geflüchteten
Das Vorhaben, einen menschenwürdigen Begräbnisort für Geflüchtete auf Lesbos zu schaffen, nimmt langsam Gestalt an. Es wird immer noch daran gearbeitet, durch die Stadtverwaltung und die
öffentliche Hand Unterstützung zu bekommen, um den Friedhof zu gestalten. Seit meinem ersten Besuch dort vor zwei Jahren hat sich viel verändert: Das hohe Gras und Unkraut ist gemäht, in einem
Teil des Geländes sind Steintafeln aufgestellt, eine Halle zur Herrichtung der Verstorbenen entstanden.
Wir haben eine Patientin aus Somalia heute mit hergebracht, nennen wir sie Luna. Luna ist im Oktober auf Lesbos angekommen. Auf ihrem Boot waren 20 somalische Frauen. 16 davon liegen hier in den
mit Feldsteinen gekennzeichneten frischen Gräbern. Das Boot ist bei der Überfahrt bei schlechter Witterung auf einen Felsen aufgelaufen und gesunken. Die meisten Frauen konnten nicht schwimmen,
Luna war stundenlang im Wasser und ist um ihr Leben geschwommen. Von den Orangen- und Zitronenbäumen aus unserem Praxisgarten habe ich Kerne gesammelt und mitgebracht. Wir pflanzen und bewässern
sie in der trockenen Erde. Auf dass an diesem tristen Ort etwas Fruchtbares erwachsen und erblühen möge.
Februar 2023
Die aktuelle Situation - 21. Februar 2023
Woche 1
Seit zehn Tagen bin ich nun wieder auf Lesbos. Zur Zeit arbeiten wir in der Praxis in Mytilini, außerhalb des Camps, die Patienten werden von uns aus dem Camp für die Behandlungen abgeholt und anschließend zurückgefahren. Das Camp scheint aktuell voll belegt. Wir behandeln sehr viele schwere Fälle mit gravierenden Traumafolgestörungen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass massive Gewalterfahrungen während der Flucht noch einmal deutlich zugenommen haben. So berichten zahlreiche Patienten, die erst vor kurzem die Insel erreicht haben, von einer wiederholten Anzahl von Pushbacks (bis zu acht), die sie durch Autoritäten des Grenzschutzes erfahren haben, bevor es ihnen gelang, im Camp aufgenommen zu werden und ein Asylverfahren zu beantragen.
Der größte Anteil unserer Patienten kommt nach wie vor aus Afghanistan, darunter sind viele Familien mit Kindern unterschiedlichen Alters. Darüber hinaus behandeln wir viele Menschen aus afrikanischen Ländern, aus Somalia, Eritrea, Guinea, Kongo, dabei sind viele Frauen, die alleine ohne Netzwerk unterwegs sind, häufig können sie weder lesen noch schreiben, die Verständigung ist mangels Somali-Übersetzern bzw. Übersetzern anderer afrikanischer Sprachen sehr rudimentär.
Die Sicherheitsmaßnahmen im Camp wurden in den letzten Tagen verschärft. Minderjährige dürfen das Camp seit gestern nur noch in Begleitung der Erziehungsberechtigten verlassen. Das Fahrzeug, mit dem wir die Patienten transportieren, wird nun jeden Tag kontrolliert, der Fahrer muss sowohl die Ein- wie Ausfahrt per Unterschrift bestätigen und sich ausweisen.
Warum ich diese Arbeit mache
Ein kurzer Video-Bericht
Wiedersehen
Earth Medicine hat inzwischen einen Container direkt im Camp. Behandelt wird momentan nur dort direkt im Camp, nicht mehr in der Praxis außerhalb in Mytilini. Heute hab ich das erste Mal im Camp Behandlungen gegeben. Es sind deutlich weniger Menschen zur Zeit in Moria untergebracht als noch im März, vorrangig aus Somalia, Nigeria, einige aus Afghanistan. Tief berührt hat mich die Begegnung mit einem jungen Mann aus Somalia, den ich im März bereits einige Male behandeln durfte. Damals konnte er nicht laufen, hatte Lähmungserscheinungen in den Beinen und Füßen, saß im Rollstuhl, war sehr schwach und abgemagert, so zart. Heute begegnet mir ein schüchterner Mann, hochaufgerichtet, er läuft, fährt Fahrrad, lernt Gitarre spielen, spricht inzwischen englisch. Erlebnisse wie diese lassen mich spüren, wie wichtig es ist, diese Arbeit zu machen. Zu sehen, wie die vereint zusammen wirkenden Kräfte Hoffnung geben können und zu so unglaublichen Fortschritten beitragen. Was für ein wunderbares Erlebnis zum ersten Tag heute im Camp.
Oktober 2022
Ein Bericht der taz anlässlich des Jahrestages des Brands von Moria